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AG Marxsche Geschichtsauffassung

Zur Relevanz und Aktualität der Marxschen Geschichtstheorie

Alle Betrachtung der Menschenwelt – sei es die Analyse gegenwärtiger Krisen, sei es die Interpretation menschlicher Geschichte – kann nur von der Tatsache ausgehen, dass der Mensch die ihn konstituierende Eigenschaft hat, Geschichte zu produzieren. Das Mensch-Sein, das Historisch-Sein also, beginnt mit der menschlichen Produktion seines Lebens. Der Mensch entwickelt mithilfe seiner Tätigkeit ein Verhältnis zur Natur, zu sich selbst und zu anderen Menschen. Nach Marx ist es vor allem das über das Soziale, das Miteinander – das Gesellschaftliche also – vermittelte Verhältnis zur Welt, was die menschliche Geschichte von der natürlichen Evolution gewissermaßen abkoppelt. Daraus aber folgt die Erkenntnis, dass es die Menschen selbst sind, die ihre Geschichte, also ihre Gesellschaft machen.

Marx stellt allerdings fest, dass die bisherigen Menschen ihre Geschichte produzier(t)en, ohne sich ihrer historischen „Täterschaft“ bewusst zu sein. Die zunehmende, weil zur Lebensproduktion notwenige Arbeitsteilung führte zu einer Unübersichtlichkeit der menschlichen Verhältnisse und damit zur Grundlage der Ohnmacht der Menschen vor der übermächtigen, naturwüchsig scheinenden Geschichte. Daraus erwächst auch die Ohnmacht vor den gesellschaftlichen Mechanismen, die als Naturgewalten erscheinen aber von den Menschen gemacht sind.

Die bisherige Geschichte entwickelte sich zu einer Art chaotischen Wucherung, zu deren Wachstum man im Nachhinein aber gewisse überindividuelle historische Gesetzmäßigkeiten abstrahieren und formulieren kann. Es ist dies die ganze Grundlage der Marxschen Philosophie. Nach Marx sind die grundlegenden Mechanismen der bisherigen Geschichte der – von Marx selbst nie selbst so bezeichnete – Historische Materialismus, welcher den Zusammenhang zwischen materieller Produktion, sozioökonomischen Verhältnissen und dem jeweils historischen geistigen Überbau darstellt, und die Klassenkampftheorie, welche die daraus folgenden sozialen Ungleichheiten und die konkreten politischen Auseinandersetzungen einer Zeit beschreibt.

Die Beschäftigung mit der Marxschen Geschichtsauffassung liefert auf der einen Seite konkrete Analyseinstrumente zur Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart und verdeutlicht zugleich die Notwendigkeit der Emanzipation von der selbstverschuldeten Unmündigkeit, von der Unterordnung der Menschen unter die von ihnen produzierten und reproduzierten Herrschaftsverhältnisse. Zu betrachten ist das (Miss-)Verhältnis zwischen der Freiheit, politische Veränderungen zu erkämpfen, und der weit verbreiteten Ohnmacht vor den scheinbar übermächtigen Apparaten und den gesellschaftlichen Kräften. Dabei wird zu erkennen sein, dass nach Marx emanzipatorische Veränderungen nicht notwendig eintreten, sondern durch (revolutionäre) Tätigkeit erzwungen werden müssen. Was vor dem Hintergrund unserer Zeit unter dem Stichwort „revolutionär“ zu verstehen ist, wird zu diskutieren sein.


Als Basistext empfiehlt sich das Frühwerk von Marx und Engels „Die Deutsche Ideologie“ von 1845/46, das erst in den 1930er Jahren veröffentlicht wurde und in gewisser Weise die 100 Jahre Marx-Interpretation recht unbeschädigt überdauert hat. Für unsere Zwecke ist der Feuerbach-Teil (MEW1 3, S. 9-77) von Bedeutung. Ferner liefern die berühmten Marxschen „Thesen über Feuerbach“ von 1845 (MEW 3, S. 5-7) wichtige Denkanstöße zur analytisch-praktischen Herangehensweise an bürgerliche Ideologie und reale Zustände.

Kontakt: pauko1(at)gmx.de

www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm

1 [MEW] Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 1-43, Berlin: Dietz-Verlag, 1956 ff.